Der Fuldaer Philosoph Dr. Christoph Quarch leitet Verantwortung von Antwort ab. Verantwortlich sein heißt für ihn, persönlich Antwort geben, mehr noch: Antwort sein. Die Vorsilbe ver signalisiert Aneignung und Intensität und verstärkt diese Sicht: „Verantwortung kann nur übernehmen, wer sich von anderen etwas sagen lässt“, so Quarch.
Auch in der benediktinischen Tradition finden wir diesen Ansatz: Das Leitwort „Höre“ am Anfang der Regel des heiligen Benedikt, ist wesentlich für das Leben der Mönche. „Hören ist Voraussetzung für Begegnung; in der Hinwendung zum Du wird es zum Ausdruck der Liebe. Hören ist eine Disziplin des Herzens, ein Prozess der Achtsamkeit…“ Und: „Mit hörendem Herzen wächst der Mönch in den Gehorsam hinein… Auf diesem Weg gehen Brüder und Abt…, indem sie in liebevoller Offenheit aufeinander hören". (Prolog Regel des hl. Benedikt). Gehorsam meint damit nicht, wie traditionell oft interpretiert: Keine Widerrede! Gehorsam deuten wir innovativ benediktinisch: Höre hin, was andere dir zu sagen haben und höre auf die liebevolle Antwort deines Herzens.
Aufgrund beider Quellen wird klar: Verantwortung hat etwas mit Beziehung zu tun. Denn Hören und Antworten sind wesentliche Bestandteile der menschlichen Kommunikation, die uns mit uns selbst, anderen Lebewesen und der Umwelt in Beziehung bringt. Zentral in Beziehungen ist der Austausch, ein Geben und Nehmen. Zur Übertragung von Verantwortung gehören in der Regel zwei Personen: diejenige, die sie überträgt (gibt), und diejenige, die sie übertragen bekommt. Letztere sollte sich frei fühlen und bereit sein, die Verantwortung zu übernehmen. Mitunter kommt es vor, dass jemand von sich aus die Verantwortung für etwas übernimmt, ohne dass es jemanden gab, der sie ihm übertragen hätte. Möglicherweise tut er dies aus seinem Gewissen heraus. Von daher kann das sehr positive Auswirkungen haben, es kann aber auch eine Anmaßung oder Berechnung darin liegen.
Da also Verantwortung etwas mit Beziehung zu tun hat, stellt sich des Weiteren die Frage: Zu wem oder was haben wir eine verantwortungsvolle Beziehung? Pater Anselm Grün nennt vier Aspekte der Beziehung: Die Beziehung zu sich selbst, die Beziehung zu anderen Menschen, die Beziehung zu den Dingen und die Beziehung zu Gott, zur Schöpfung. Übertragen wir dieses Bild in den Bereich der Verantwortung:
1. Selbstverantwortung: Die Beziehung zu sich selbst
Wir sind selbst für unser Denken, Fühlen und Handeln verantwortlich. Natürlich sind wir auch ein Produkt unserer Erfahrung, Prägung und Erziehung. Es ist jedoch an uns, diese Erfahrungen bewusst zu reflektieren und uns immer wieder von mit der Zeit überholten Mustern zu lösen. Dies ist alles andere als einfach und gelingt am besten, wenn wir uns mit unserer Vergangenheit und unseren Fehlern versöhnen. Wir akzeptieren, dass wir Mensch sind, Licht und Schatten haben. Verantwortlich sein heißt in diesem Sinne, ganz erwachsen werden und liebevoll für sich selbst sorgen.
2. Soziale Verantwortung: Die Beziehung zu anderen Menschen
Soziale Verantwortung bedeutet Verantwortung für die Gemeinschaft bzw. das Gemeinwohl: Als Ehegatten haben wir eine Verantwortung für unsere partnerschaftliche Beziehung, als Vater oder Mutter für unsere Kinder und wenn die Eltern hilfsbedürftig sind, dann auch als Kinder für das Wohl der Eltern. Im Straßenverkehr für andere, gerade schwächere Verkehrsteilnehmer, zum Beispiel Radfahrende und Fußgänger. Und als Führungskraft für unsere Mitarbeitenden, laut Arbeitsschutzgesetz gilt eine physische und psychische Sorgfaltspflicht. Wichtig hinsichtlich einer gelingenden Beziehung ist, dass die soziale Verantwortung die anvertraute Person nicht von ihrer Selbstverantwortung befreit.
3. Schöpfungsverantwortung: Die Beziehung zu den Dingen
Pater Anselm Grün formulierte in einem seiner Vorträge folgenden Satz: „So wie man mit den Dingen dieser Welt umgeht, so geht man mit Gott um.“ Wie ist dies zu verstehen? Die gesamte belebte und unbelebte Umwelt ist seiner Ansicht nach Gottes Werk, also Teil der Schöpfung. Wer gegenüber diesen Dingen keine Verantwortung übernimmt, schadet der Schöpfung. Schöpfungsverantwortung heißt, die Dinge und die Umwelt zu schonen, maßvoll mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen, sich nachhaltig zu verhalten, im Rhythmus der Natur zu leben. Wer gegen die Natur und deren Rhythmus lebt, der brennt über kurz oder lang aus, seelisch wie materiell. Aus gutem Grund formuliert Benedikt in seiner Regel die zwölf Stufen der Demut, zudem ist die Mäßigung eine Kardinaltugend. Im Zeitalter des Klimawandels und des höher, weiter, schneller sind Benedikt und Platon damit aktueller denn je, wie auch der 14. Dalai Lama feststellt: „Heute ist die auf Liebe und Güte gegründete universelle Verantwortung eine Überlebensfrage der Menschheit."
4. Spirituelle Verantwortung: Die Beziehung zu Gott
Unter Spiritualität verstehen wir ganz allgemein eine kontinuierliche Suche nach dem Sinn des Lebens. Sinnhaftigkeit ist nicht umsonst der wesentliche Faktor der Salutogenese, sprich der Entstehung von Gesundheit nach Aaron Antonovsky und heißt: Die Anstrengungen des (Arbeits-)Lebens lohnen sich. Wenn wir davon ausgehen, dass in jedem von uns der göttliche Funke innewohnt, dann bedeutet spirituelle Verantwortung, dass wir unser innewohnendes Potenzial entfalten und damit unsere persönliche wie berufliche Lebensspur zeichnen. Menschen in dieser Verantwortung führen heißt, sie auf ihrer Sinnsuche zu begleiten und ihnen, so weit möglich, eine sinnhafte Tätigkeit mit sinnvollen Aufgaben zu ermöglichen, die ihrem Wesen und ihren Stärken gerecht wird. Aus dieser Verantwortung heraus entsteht durch sinnstiftende Führung eine Arbeit, die erfrischend wirkt, dem Leben dient und Lebendigkeit hervorbringt.